Erfolgreicher Fachtag im Landeshaus Kiel
Anschließend begann Dr. Christoph Zerm, ehem. Chefarzt der Frauenklinik in Herdecke, seinen Vortrag. Er blickt zurück auf eine nahezu zwanzig Jahre lange Erfahrung einer „Sondersprechstunde für geflüchtete Frauen im Zusammenhang mit FGM“. Aus seiner Rolle als Arzt und mit „möglicherweise nicht repräsentativem Klientel“ berichtete er von seinem „seltenen Einblick in die Praxis“. Dr. Zerm führte aus, welche Umstände bei individuellen Fluchtgründen hinzukommen und damit FGM/C niemals isoliert als Einzelproblem, sondern als eine von mehreren Menschenrechtsverletzungen betrachtet werden müsse. Häufig standen die Frauen, die ihn in seiner Sprechstunde aufsuchen, vor der Entscheidung „Nur einfach weg. Egal wohin.“, da die Alternativen nur der Tod ggf. durch Suizid bedeutet hätte. Als besondere Herausforderungen identifiziert Dr. Zerm einerseits den organisierten Menschenhandel, der einerseits für viele Frauen die einzige Möglichkeit zur Flucht darstellt, anschließend aber zu einem Problem wird, dem sie sich nicht mehr entziehen können. Gründe dafür seien die europaweite Vernetzung und das Einfordern von hohen Geldsummen. Eine weitere Herausforderung sei das Asyl-Verfahren, das nach den Erfahrungen von Dr. Zerm, zu oberflächlich auf die Bedarfe und Biographien der Betroffenen eingehe. Dr. Zerm rundete seinen Vortrag ab, in dem er Forderungen formulierte, wie den Ausbau von Netzwerken zum Thema FGM/C, die Ausbildung von Fachpersonal und das Mitdenken von Männern in diesem Themenkomplex.Eine weitere Herausforderung sei das Asyl-Verfahren, das nach den Erfahrungen von Dr. Zerm, zu oberflächlich auf die Bedarfe und Biographien der Betroffenen eingehe. Dr. Zerm rundete seinen Vortrag ab, in dem er Forderungen formulierte, wie den Ausbau von Netzwerken zum Thema FGM/C, die Ausbildung von Fachpersonal und das Mitdenken von Männern in diesem Themenkomplex.
Der zweite Vortrag richtete den Blick auf die weibliche Genitalverstümmelung und -beschneidung aus der Perspektive des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Britta Jaks, Einzelentscheiderin und Sonderbeauftrage für geschlechtsspezifische Verfolgung, für Opfer von Menschenhandel sowie für Traumatisierte und Opfer von Folter berichtete über die rechtliche Bewertung von FGM/C und zeigte auf, welche Möglichkeiten sie als Entscheiderin, aber auch das BAMF als Behörde mittlerweile haben, um den Herausforderungen, die auch Dr. Zerm formuliert hat, gerechter zu werden. Frau Jaks gab dabei auch einen praktischen Einblick in ihre Arbeit und welche Möglichkeiten sie hat, gezielter nachzufragen, um Themen wie FGM/C, aber auch häusliche und andere Taten anzusprechen und einen Rahmen zu schaffen, in dem das überhaupt möglich ist. Neben der rechtlichen Bewertung der Gesamtsituation machte Frau Jaks auch deutlich: „Es geht dem Staat bei seiner Einschätzung immer um eine Gefährdung bei der Rückkehr ins Heimatland.“
Nach einer kurzen Kaffeepause, die schon verriet, dass es Gesprächsbedarf unter den Teilnehmenden gibt, begann die Podiumsdiskussion. Unter dem Titel „FGM/C: eine Herausforderung für Schleswig-Holstein?!“ wurde das Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.
Prof. Dr. Nicolai Maass, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des UKSH legte seinen Fokus auf die medizinische Versorgung von Betroffenen und die Ausbildung von medizinischem Fachpersonal. Diana Lekoyiet, Aktivistin gegen FGM/C hob die Bedeutung von Sprache und Spracherwerb hervor. Um Mädchen in Schulen zu erreichen bedarf es eines Zugangs, der sie und ihre Eltern erreicht. Sie betonte, dass es nicht den optimalen Weg gibt, um Familien zu erreichen und bediente das Bild unterschiedlicher Schlüssel, um Zugang zu den Familien zu bekommen. In ihren Augen sei es wichtig, dass die Frauen die Wahl haben. Die Übersetzerin und Dolmetscherin Narmin Kareem mahnte an, bei diesem Thema auf vereidigte Dolmetschende zurückzugreifen, da eine vertrauensvolle und verschwiegene Arbeit erst die Grundlage schafft, dass sich Betroffene gegenüber unterstützendem Fachpersonal öffnet. Sie wolle Verantwortung übernehmen und den Frauen eine Stimme geben, die keine haben. Der Irak müsse beim Thema FGM/C konsequent mit gedacht werden. Damit das gelingt, muss ein Bewusstsein geschaffen werden, wie wichtig eine reflektierte und qualifizierte Übersetzung ist. Renate Sticke, Projektleiterin und Landeskoordinatorin der Fachstelle TABU betonte den Wert einer Fachstelle, die in einer Verstetigung eine besondere Chance hat, einerseits die Beziehungsarbeit zu betroffenen Frauen langfristig zu realisieren und auf der anderen Seite Fachpersonal langfristig in die Arbeit der Fachstelle mit einzubinden. Sie betonte den Wert einer effektiven Präventionsarbeit und hob den Facettenreichtum ihrer Arbeit hervor. Es gehe dort nie ausschließlich um FGM/C.
In der Podiumsdiskussion kamen auch die Teilnehmenden der Veranstaltung zu Wort. Die von allen aus ihren Perspektiven genannten Ziele und Forderungen werden von der Fachstelle zusammengeführt und in einem separaten Papier veröffentlicht. Bei einem Imbiss gab es im Anschluss anderthalb Stunden Zeit, mit allen ins Gespräch zu kommen, sich über die unterschiedlichen Perspektiven des Fachpublikums auszutauschen und sich zu vernetzen.