Erfolgreicher Fachtag "Leben in Schleswig-Holstein mit weiblicher Genitalbeschneidung/Genitalverstümmelung"
Am Freitag, 17. Juni 2022 fand in Neumünster erstmalig wieder in Präsenz der Fachtag „Leben in Schleswig-Holstein mit weiblicher Genitalbeschneidung/Genitalverstümmelung“ statt.
Nach einem Grußwort von Herrn Heinrich Deicke, Geschäftsführer der Diakonie Altholstein und Gyde Jensen, MdB und Schirmherrin der Beratungsstelle TABU führte Renate Sticke, Projektleiterin von TABU ins Thema ein. Im Fokus des Fachtages stand die Perspektive der aufnehmenden Gesellschaft mit den Erfahrungen aus drei Jahren Beratungstätigkeit. In ihrem Vortrag betonte Frau Sticke die Bedeutung von FGM/C für die betroffenen Familien auch über Generationen und stellte die Verantwortung heraus, die uns als aufnehmende Gesellschaft übergetragen wird. Daraus erwächst der frauen- und menschenrechtspolitische Auftrag, einen sozialen Wandel zu unterstützen und aktiv strukturelle Veränderungen für die Frauen zu erarbeiten. Die Frauen müssen in diesen Prozess unbedingt mit eingebunden werden.
Es folgte ein Fachvortrag von Dr. Krammer und Frau Andresen, beide tätig in der Traumaambulanz Flucht und Migration des Zentrums für Integrative Psychiatrie (ZiP) in Kiel, über die transgenerationale Weitergabe von Traumata. Zunächst führten sie die Zuhörenden lebhaft zusammen, indem sie alle auf den gleichen Stand zum Themenkomplex Trauma und Traumafolgestörung brachten. Ihre Vortragsweise war geprägt von Beispielen aus der Praxis, um den theoretischen Vortrag in einen arbeitsweltlichen Kontext zu bringen. Über die neurologischen Vorgänge und Auswirkungen von Traumata auf das Gehirn und die Behandlung von Psychotraumata folgten Erkenntnisse aus der Epigenetik. Demnach wird, wie auch die DNA, die epigenetische Signatur an folgende Generationen weitergegeben. Diese führen dazu, dass Menschen ängstlicher oder anfälliger für stressbedingte Krankheiten sind.
Nach der Mittagspause wurden die Teilnehmenden eingeladen, sich in vier Reflexionsräumen mit unterschiedlichen Themen rund um das Kernthema auseinanderzusetzen.
Dieser intersubjektive Raum, bestehend aus mindestens zwei Parteien, wird geöffnet, um gegenseitiges Verstehen im Rahmen eines 30-minütigen Arbeitsbündnisses zu fördern. Die Teilnehmenden bringen dabei spontan ihre Gedanken ein, ohne Rücksicht darauf, ob sie ihnen unwichtig, sinnlos, unpassend oder beschämend erscheinen. Die Expertinnen hingegen sind bemüht, die Teilnehmenden nicht durch Verbote, Gebote, Ratschläge, Belehrungen oder private Meinungen und auch nicht durch Werturteile oder eigene Überzeugungen zu beeinflussen.
Der Reflexionsraum stellt dabei auch einen Schutzraum dar, in dem frei assoziiert und reflektiert werden kann. Das Gesprochene bleibt im Raum. Das Konzept des Fachtages sah vor, dass alle Teilnehmenden rotierend an jedem Reflexionsraum teilnehmen konnten.
Annette Ballhorn, Oberärztin in der Frauenklinik des Friedrich-Ebert-Krankenhauses (FEK) in Neumünster gestaltete den ersten Reflexionsraum zum Thema „Barrieren für Patientinnen mit Migrationshintergrund in Geburtshilfe und Frauenheilkunde“.
Der zweite Reflexionsraum wurde von Stephanie Röstel vom KIK Netzwerk Häusliche Gewalt und Koordination Kiel Frauenhaus/Beratungsstelle Die Lerche zum Thema „Istanbul-Konvention – Eine Chance auf nachhaltige Beendigung von FGM?!“ angeboten.
Mit dem Thema „Empowerment – die Stärke für ein selbstbestimmtes Leben“ gab unsere Projektmitarbeiterin Asha Abdel Rahim einen Input zur Reflexion und Assoziation.
Der vierte Reflexionsraum wurde von Renate Sticke gestaltet. Sie brachte das Thema „Rekonstruktion der weiblichen Genitalien – Ein Weg für betroffene Frauen“ ein.
Der Fachtag endete mit einem Impuls zur Selbstfürsorge durch unseren MProjektmitarbeiter Paul Hirnstein. Nach den intensiven Gesprächen zum Thema FGM/C war es wichtig, einen Schlusspunkt zu setzen und alle Teilnehmenden ins Wochenende zu entlassen.